Als Netzwerk für faire Arbeitsbedingungen in Museen und Gedenkstätten waren wir im Januar diesen Jahres unter sehr anderen Bedingungen mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gegangen. Mittlerweile wird dieser Brief von mehr als 400 Menschen unterstützt. Die dort gestellten Forderungen sind immer noch aktuell: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffen uns, weil wir ohnehin seit Jahren prekär beschäftigt sind, in besonderem Maße. Dazu hatten wir bereits im März eine erste Blitzumfrage in unserem Netzwerk gestartet.

Nun wird mit verschiedenen Hilfsprogrammen der Eindruck verbunden, die Probleme wären gelöst. Angesichts der schrittweisen Wiedereröffnung der Museen und Einrichtungen haben wir mit einer zweiten Umfrage den Stand der Dinge in unserem Netzwerk abgefragt. Die Umfrage lief vom 14. bis zum 19. Mai, es haben sich von den angeschriebenen Unterzeichner*innen unseres offenen Briefes aus dem Januar 98 Personen und damit fast ein Viertel beteiligt. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer*innen (85 Personen, siehe Grafik 1) arbeitet freiberuflich in den Gedenkstätten und Museen, vor allem in Berlin und Brandenburg. Darüber hinaus nahmen zehn Personen aus Bayern an der Umfrage teil.

Grafik 1: Angaben zu Beschäftigungsverhältnissen

Erneut spiegelt die Zusammensetzung der Teilnehmenden die vielfältige Landschaft von Kulturhäusern und Zivilgesellschaft in Deutschland: Topographie des Terror, KZ-Gedenkstätte Dachau, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Gedenkstätte Hohenschönhausen, Stiftung Berliner Mauer, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Jüdisches Museum Berlin, Alliierten Museum, Museum Europäischer Kulturen, KIgA e.V., Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V., Politischer Arbeitskreis Schulen e.V., Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Bundespresseamt, Volkshochschulen, Universitäten, und Landeszentren für politische Bildung sind nur einige der Einrichtungen, in denen oder für die die Teilnehmer*innen unserer Umfrage (normalerweise) tätig sind. Es geht nicht um einen einzelnen, eng gefassten Arbeitsbereich (Museumspädagog*innen, Guides etc.). Sondern es geht um existenzielle Fragen der Menschen, die die politische und kulturelle Bildung sowie zivilgesellschaftliche demokratische Aktivitäten in Deutschland durch ihre Praxis aufrechterhalten.

Wie nah ist das Virus?

Die gute Nachricht ist, dass sich von unseren Kolleg*innen niemand mit dem aktuellen Virus angesteckt hat. Manche waren allerdings von Quarantäne betroffen – viele mehr aber von den allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. In den Kommentaren zur ersten Frage, ob die Person selbst von Covid-19 oder Quarantäne betroffen sei, werden entsprechend vor allem existenzielle Sorgen und Ängste vor der wirtschaftlich bedrohlichen Situation artikuliert.

„Ich bin gesund, aber meine Aufträge sind zu 100% weggebrochen“

„Ja, ich habe eine halbe Stelle (befristet), mit der ich meine Basics zahlen kann, brauche aber Einkommen als Freiberufler. Das fällt nahezu komplett weg.“

„Ausfälle von Aufträgen als Honorarkraft (ca. 2/3 Jahreseinnahmen), Kurzarbeit im parallelen Midijob (aufgestockt durch Arbeitgeber – Netto ges. < 800 €)“

„Alle meine Jobs sind bis auf Weiteres storniert, da die Institute seit dem 15. März geschlossen sind und Führungen wahrscheinlich sogar bis zum Ende des Kalenderjahres nicht stattfinden.“

„Meine nebenberufliche Selbstständigkeit, mit der ich meine Studienschulden abzahle, ist seit März 2020 weggefallen. Ich habe jetzt weniger Geld zur Verfügung als bei Hartz IV. Die Behörden empfehlen mir, entweder Hartz IV zu beantragen oder einen Kredit aufzunehmen. Hartz IV bekomme ich nicht, weil ich eine 30h-Stelle habe und einen Kredit aufzunehmen, um einen Kredit abzuzahlen widerstrebt mir. Außerdem habe ich 50% Home Office, dafür jetzt auch Sonntagsarbeit in der Präsenzwoche + negatives Arbeitsklima“.

Situation in den Einrichtungen

Zwar gibt es Kommunikation zwischen den Einrichtungen und ihren Beschäftigten und Freiberuflern. So gaben 72% der Teilnehmer*innen unserer Umfrage an, dass Kommunikation von Seiten der Leitungsebene stattfand, von Seiten der zuständigen Mitarbeiter*innen sogar bei etwas mehr als 90%. Die stattfindende Kommunikation wird im Durchschnitt allerdings nicht als gut, sondern als mittelmäßig beschrieben (Grafik 2). Hier gibt es unbedingtes Verbesserungspotenzial.

Grafik 2: Einschätzungen zur Qualität der Kommunikation seitens der Einrichtungen

Ein konkretes Bild, ob die Kommunikation zwischen Einrichtungen und Mitarbeiter*innen je nach Beschäftigungsverhältnis anders ausfällt, kann unsere Umfrage nicht vermitteln. Es bleibt zu vermuten, dass Angestellte auch in diesen Zeiten in Kommunikationsstrukturen anders eingebunden sind als Freiberufler*innen oder Angestellte in Drittfirmen.

Wir haben auch gefragt, ob es in der Einrichtung Kurzarbeit gibt, ob ausreichende Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz bei der Wiedereröffnung ergriffen wurden und ob Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen (mithilfe ausreichenden Personals) gewährleistet werden können. 15,6% erwiderte die Frage über die Kurzarbeit mit einem Ja, während 49% keine etwaige Information darüber hat.

Auf unsere Frage bezüglich der Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Einrichtungen sagte wieder eine Minderheit von 28,1%, dass die Häuser ausreichend engagiert sind, während die Mehrheit (62,5%) kein Wissen darüber hat. Dieses Bild wiederholt sich in der nächsten Frage über die Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen. 19 Personen gaben eine Ja-Antwort; 10 Personen eine Nein-Antwort; und 67 Personen haben scheinbar keinen Zugang zu solchen Information. Im Umkehrschluss heißt dieses Ergebnis, dass circa 70% unserer Kolleg*innen bisher nicht informiert wurden, was die jeweiligen Häuser bezüglich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der Personalpolitik unternehmen (wollen). Zwischen Einrichtungen und Mitarbeiter*innen gibt es zurzeit in solchen Fragen augenscheinlich keine entsprechende Kommunikation.

Dasselbe gilt leider auch für die Betriebs- und Personalrät*innen. Nur elf Personen (11,5%) haben unsere Frage in Bezug auf Kommunikation seitens des Betriebsrats positiv beantwortet, 42,7% mit einem Nein und 45,8% mit „Weiß nicht“. Wir können davon ausgehen, dass nur die Angestellten – aber laut Umfrage selbst hier nicht alle – in den letzten Wochen von der Arbeitnehmervertretung der jeweiligen Betriebsstätte kontaktiert wurden. In der Krise zeigt sich erneut, was wir schon im Normalbetrieb bemängelt hatten: Strukturen wie Betriebsräte können im aktuellen Zuschnitt in Kultur- und Bildungseinrichtungen nicht ausreichend funktionieren, weil hier proportional gesehen die meiste Arbeit an Freiberufler*innen geht. Für outgesourcte Arbeit sind Arbeitnehmervertretungen nicht gemeint. Die nötige Kreativität für ein anderes Selbstverständnis solcher Gremien wird selten an den Tag gelegt.

Unklarheit und Unsicherheit herrschen leider auch über die Perspektive der befristet Angestellte, die beispielsweise projektgebunden arbeiten:

„Aktuell noch gut, da Mittel bereits bewilligt: Projekt-Angestellte werden weiterfinanziert (Maßnahmen im Projekt angepasst, zum Beispiel durch Webinar-Angebote, konzeptionelle Arbeiten). Bis zuletzt wurden noch neue Projektanträge für das laufende Haushaltsjahr bewilligt (Bundesmittel) und Einstellungen vorgenommen. Längerfristig ist die Perspektive sehr schwierig: Wegen drohender Haushaltskürzungen ab 2021 drohen auch Entlassungen.“

„Bei uns hat sich die Belegschaft um fast die Hälfte reduziert; Mitarbeiter in der Probezeit wurden alle entlassen, zudem auslaufende Verträge nicht mehr weiterverlängert; was die zukünftige Entwicklung betrifft tappen wir leider aufgrund der mangelnden Kommunikation im Dunkeln.“

„Das kann man nicht einschätzen, da die Haushaltssperre erst beschlossen wurde und noch nicht klar ist, wie die Kultureinrichtungen darauf reagieren.“

Wiedereröffnungspläne

Knapp Hälfte der Teilnehmer*innen unserer Umfrage gaben an, dass die Häuser entweder bereits wieder aufgemacht haben oder an Plänen zur baldigen Wiedereröffnung arbeiten. Wir betrachten es als positiv, dass sich viele Einrichtungen nach einer Schließung von ungefähr neun Wochen an die neuartigen Umständen adaptieren können.

25% der Befragten setzten ihr Häkchen bei „Nein, keine baldige Wiedereröffnung“, noch einmal 25% bei „Anderes“, die sich in Antworten für eine andere Frage als „Keine Meldung“, „keine pädagogische Angebote“ oder ähnliche weiter spezifiziert. Gefragt nach der Wiederaufnahme des pädagogischen Programms, fielen allerdings 70% der Antworten negativ aus: Die meisten Häuser werden vorerst keine Führungen und Seminare anbieten. Die Museen werden als Orte der Betrachtung aufmachen, nicht als aktive Institute, wie wir sie von früher kennen. Insbesondere die Freiberufler werden weiter auf Aufträge warten müssen.

„Chef möchte Ausstellungen öffnen, bittet um Verzicht auf Sonntagsausgleich, weil er denkt, dass wir im Home Office nicht richtig arbeiten würden. Wurde selbst nicht gefragt, was ich in der Zeit mache“

„Leitungskräfte scheinen vollkommen überfordert von unklaren, ständig wechselnden Vorhaben vom Senat“

„Grundproblem: Seminarformate unter 15 Personen sind aus wirtschaftlichen Gründen im Regelfall nicht möglich; Logistik (Gruppenunterkünfte in Berlin, Seminarräume, Anreise per Bus, Anzahl der Referent*innen pro Teilnehmer*innen) sprengt zweitens den Rahmen realisierbarer Möglichkeiten“

„Nur über Druck gibt es minimale Zugeständnisse an die Freiberuflichen. Keine Planungssicherheit über Juli hinaus, keine langfristige Strategie von Seiten der Geschäftsführung/Leitung“

„Es wird zurzeit an Hygienekonzepten für die Wiedereröffnung gearbeitet. Studentische Kräfte sind verpflichtet, in den Außenbereichen zu arbeiten“

„Als Freiberufler bin ich über den Fortgang des jetzigen Arbeitslebens im Museum nicht mehr auf dem neuesten Stand“

„Die Einrichtungen, die in direkter Verbindung zum Berliner Senat und damit auch Herrn Lederer stehen, wie das Stadtmuseum oder das Technikmuseum, verweisen auf die Entscheidungen des Berliner Senates. Dass es auch anders geht, zeigt Jugend im Museum e.V., die ebenfalls vom Senat unterstützt werden, aber eigenständig versuchen sie uns zu helfen und zu unterstützen mit kleinen Werkaufträgen“

„Nachdem erst einmal keinerlei Unterstützung für uns freiberufliche Teamer angeboten wurde, kann man sich jetzt auf einzelne Kurzprojekte bewerben. Dies aber erst nach schlechter Presse für die Einrichtung“

„Es ist sehr unterschiedlich. In der GDW gibt es weiterhin Ausfallhonorare und ab und zu Nachricht von der zuständigen Mitarbeiterin. Im JMB gab es kleine Honoraraufträge. Das TM zieht sich unter Verweis auf die Soforthilfe ganz aus der Verantwortung. Insgesamt ist die Kommunikation eher schlecht und sehr selten. Unter den freien Guides brodelt es, soweit ich das mitbekomme. Ich habe das Gefühl, sehr allein gelassen zu sein“

„Potsdam Lindenstraße hat sich für die Honorarkräfte sehr eingesetzt. Die anderen Häuser weniger“

„Bisher ist in diesem Schuljahr keine Wiederaufnahme des Seminarprogramms geplant. Die Leitung hat erst nach Druck von außen auf die Situation der freien Mitarbeiter reagiert“

Unterstützung aus den Einrichtungen?

Wir haben weiterhin gefragt, welche Maßnahmen die geschlossenen Institute in den vergangenen Wochen zur Unterstützung der Existenzsicherung ihrer freiberuflichen Mitarbeiter*innen ergriffen haben. Hier geht es im Wesentlichen um Angebote von Ausfallhonoraren einerseits und Ausgleich durch Werkverträge andererseits. Lediglich 38,5% der Teilnehmende unserer Umfrage gaben an, Ausfallhonorare über die sonst geltenden Vereinbarungen hinaus erhalten zu haben. Hauptsächlich waren hier die Stornierungen im Zeitraum von März bis Anfang Mai 2020 abdeckt, nicht der Ausfall fast aller Veranstaltungen weit darüber hinaus.

„Es wurde nur ein Ausfallhonorar für die erste Woche der Schließung im März gezahlt. Die Gedenkstätte behauptet diesbezüglich völlig mittellos zu sein“

„Leider nur für 1,5 Monate. Dann bis September nichts mehr. Bitter!!!“

„Es gibt Kurzarbeit für MitarbeiterInnen, welche nicht Studieren sind; Studierende können nicht in Kurzarbeit gehen, seit Anfang Mai haben sie die Möglichkeit oberirdisch am Denkmal als Aufsichtspersonal zu fungieren; (das unterirdische Besucherzentrum, unser eigentlicher Arbeitsort bleibt bis dato geschlossen)“

„Kein Sonderausfallhonorar 24 Stunden vor der Führung“

„Zum Teil bis Juli. Da das Verfahren aber sehr zügig ist, habe ich die Ausfallhonorare von Juni und Juli verpasst“

„Von Anfang an wurden keine [Ausfallhonorare] bezahlt“

Besondere Werkverträge wurden laut unserer Umfrage in weniger als der Hälfte der Häuser angeboten (43,8%). Lediglich ein Fünftel der Einrichtungen ermöglichte diese Art von Beschäftigung für alle ihre freiberuflichen Mitarbeiter*innen gleichermaßen. Das heißt: in den meisten Häuser, in denen überhaupt Werkverträge eingesetzt wurden, waren diese nicht als allgemeine Maßnahme zur Abfederung der finanziellen Verluste aller freien Mitarbeiter*innen der Einrichtung gemeint. In Zahlen übersetzt hatten lediglich acht freie Mitarbeiter*innen von hundert in dem Bereich beschäftigten Personen Zugang zu einem Werkvertrag. Hier wäre aus unserer Sicht ein Abgleich mit den Daten aus den Einrichtungen nötig. Laut der Kommentare wird darüber hinaus die Option eines Werkvertrages in weiteren Einrichtungen in Aussicht gestellt.

„Der Vertrag deckt den Ausfall nicht im geringsten ab, die Honorare variieren zwischen 250 und 900 Euro pro Auftrag“

„Ich weiß nicht, ob etwas für alle gibt. Die Frage ist eher, werden wir weitere Werkverträge bekommen, solange wir in dieser Situation sind“

„Den Referenten wurde angeboten, für 50 € ein Video mit ihrem Haftbezug herzustellen – das ist nahezu unverschämt“

„Werkverträge wurde Mitte April in Aussicht gestellt, bislang wurden noch keine Verträge ausgestellt“

„Es gibt wohl bisher noch nicht für alle freien Mitarbeiter*innen Honorarverträge, aber es wurden finanzielle Nöte abgefragt und die Aufträge so vorrangig vergeben. Es werden auch in den nächsten Monaten weitere Honorarverträge gemacht, aber diese können die Einnahmeverluste sicherlich nicht abdecken“

„Keine Werkverträge bei Mauergedenkstätte, da aber Ausfallhonorare. Bei Haus der Geschichte keine Ausfallhonorare aber dafür Werkverträge“

„Es gibt einige Werkverträge, es wäre aber nicht genug für alle und deckt auch nur einen kurzen Zeitraum ab. Ausschreibung geschah erst jetzt (Mitte Mai), nachdem Leute seit Anfang März kein Geld mehr bekommen. Erste Ausschüttung (von 50%) soll erst Ende Mai stattfinden“

„Topo: pauschal 1.000 Euro per Werkvertrag für alle. Schöneweide nein (oder nicht für alle), Sachsenhausen verhandelt wohl gerade mit dem Kultusministerium“*)

Mit weiteren zwei Fragen wollten wir einen Eindruck über die Höhe der tatsächlichen finanziellen Unterstützung seitens der Häuser bekommen. Etwas mehr als Hälfte der Umfrageteilnehmer*innen gaben an, dass sie über Ausfallhonorare und/oder Werkverträge weniger als 500 Euro einnehmen konnten. 37,1% erzielten ein Einkommen in der Größenordnung von 500-1500 Euro, eine Minderheit von 11,4% (8 Personen) ein Einkommen von über 1500 Euro.

Diese Streuung zeigt sich ähnlich auch in der nächsten Frage zu den Proportionen: Wie viel Prozent des normalen durchschnittlichen Honorars für diesen Zeitraum machen die Einnahmen über Ausgleichsmaßnahmen aus? (siehe Grafik 3). Etwa 90 Prozent habe mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen verloren.

Grafik 3: Ausfallhonorare + zusätzliche Werkverträge im Verhältnis zum Einkommen vor der Krise

Auch hier gilt wieder, dass manche von uns auf bessere Kombinationen treffen – und viele andere nicht. Dass eine Person für drei Einrichtungen tätig ist und von allen dreien etwas angeboten bekommt, ist durchaus möglich, während eine andere Person vielleicht für fünf Häuser arbeitet, die gar nichts anbieten. Einheitliche Regeln für die Umwidmung der Gelder, die für die pädagogische Abteilungen in den Haushalten eingestellt waren und nun nicht abgerufen werden, gibt es offensichtlich nicht. Entsprechend willkürlich fallen die Maßnahmen aus. Einige der Folgen dieser strukturellen Uneinigkeit bei der Unterstützung der eigenen Mitarbeiter*innen, der pädagogischen Expertinnen und Experten für kulturelle und politische Bildung, werden sich überhaupt erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Journalist Thomas Radlmaier berichtet in der Süddeutschen Zeitung in diesem Zusammenhang:

„Nicht nur die Referenten des MMSZ [Max-Mannheimer-Studienzentrum] in Dachau sind betroffen. Bayernweit ist ein Großteil des gedenkpädagogischen Bildungsbereichs existenziell bedroht. Es gibt Befürchtungen, dass nach der Corona-Krise, wenn die Schulen wieder in den regulären Betrieb übergehen, niemand mehr übrig ist, der außerschulische Seminare leiten kann. Überhaupt rechnet niemand damit, dass die Bildungsprogramme noch in diesem Schuljahr angeboten werden können.“

Bezüglich der Situation von Solo-Selbstständigen ergibt sich aus den Kommentaren unserer Umfrage-Teilnehmer*innen ein deutliches Bild:

„Es hat ein Geschmäckle, dass Solo-Selbstständige auf die Grundsicherung verwiesen werden, während Angestellte sogar noch eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes erhalten. Meine Aufträge sind ALLE bis September gestrichen worden. Null Einnahmen. Mache jetzt Minijob im Supermarkt zum gesetzlichen Mindestlohn. Viele sind in einer ähnlichen Situation“

„Die 5.000 € Soforthilfe waren toll. Aber wie geht es in nächsten Monaten weiter?“

„Sehr sehr schwierig. Das gesparte Geld schrumpft und psychisch ist es hart, das Gefühl zu bekommen, dass die Arbeit völlig unwichtig und ich komplett verzichtbar und austauschbar bin. Ich habe auch noch Kinder, die seit Wochen keine KITA und Schule haben und auch da sind die Aussichten sehr schwierig“

„Der Staat lässt die Solo-Selbstständigen fallen, schickt sie in Hartz IV, anstatt ihnen zu helfen. Habe letztes Jahr über 5000,- Euro Einkommenssteuer gezahlt und jetzt keinen einzigen Cent Soforthilfe bekommen, weil keine Betriebsausgaben“

„Ich fand die Sofort-Hilfe Aktion solidarisch und gut; es braucht mehr Sicherheit, dass die Beträge nicht zurück gezahlt werden müssen (der Fall in Land Brandenburg)“

„Sowohl aufgrund der finanziellen Unterstützung des Landes Berlin als auch aufgrund des Ausfallhonorars der Gedenkstätte ist es finanziell für mich momentan OK, aber ab schätzungsweise Oktober werde ich finanzielle Probleme bekommen und auf eine neuerliche finanzielle Unterstützung des Landes Berlin angewiesen sein, wenn ich bis dahin keine neue Einkommensquelle finde“

„Die Referenten wurden von der Gedenkstätte lediglich auf die Soforthilfe verwiesen. Diese Hilfe betraf aber die gesamte freiberufliche Tätigkeit und war kein spezifischer Ausgleich für entfallene Honorare in der Gedenkstätte. Avisiert wurde, dass diese Hilfe für 6 Monate gilt, d.h. die Freiberufler sind in Berlin mit monatlichem 833 Euro unterstützt – das ist unter Hartz IV-Niveau! Die Gedenkstätte HSH sieht mit der Soforthilfe ihre Verantwortung für ‚beglichen‘ und verweigert sich weiteren Ideen“

„Nebenberuflich Selbstständige werden von der Regierung, dem Bezirk und Senat komplett vergessen oder nicht gewertschätzt. Das Berliner Modell hätte mir geholfen. Betriebsausgaben, die ich jetzt nur noch decken könnte, habe ich in dem Sinne nicht außer meine Studienschulden“

„Ich rechne nicht damit, dieses Jahr noch in meiner bisherigen Funktion arbeiten zu können und schaue mich tendenziell nach anderen Verdienstmöglichkeiten um“

Hilfen von Bund und Ländern – schnell, aber begrenzt

Gefragt haben wir auch nach der Corona-Soforthilfe der Länder. 90 Personen (93,8%) haben bestätigt, dass es solche Programme gibt. Aber nur 45,8% (44 Personen) unserer Teilnehmer*innen haben einen Antrag auf Soforthilfe ihres Bundeslandes und 11,5% entweder auf Soforthilfepaket des Bundes oder auf Programme sowohl vom Bund als auch vom Land gestellt. Die Mehrheit fand das Antragsprozedere „sehr einfach“ (43,9%) oder „einfach“ (33,3) und hat Soforthilfe von Land oder Bund (67,5%) erhalten. Mit anderen Worten: während 55 Personen einen Antrag stellten, bekamen 52 Personen die Soforthilfe. Bewilligung (81,8%) und Auszahlung (87,7%) erfolgten zeitnah.

Grafik 4: Hast Du Soforthilfe von Land oder Bund beantragt?

35 Personen beziehungsweise 36,5% der Teilnehmenden unserer Umfrage beantragten keine Soforthilfe oder hatten keinen Anspruch darauf (siehe Tabelle 4), wie zum Beispiel die Kolleg*innen in Bayern und Brandenburg oder die Kolleg*innen, die eine Teilzeitanstellung haben. Andere haben keinen Antrag gestellt, weil inzwischen überall die Regelung gilt, dass die Mittel zur Deckung der Betriebskosten gemeint sind – die aber für Bildungsreferent*innen, zumal in auftragsloser Zeit, kaum anfallen. Insbesondere zu letztem Punkt gibt es nach wie vor weitgehende Unsicherheiten. Berliner*innen, die erst einmal hatten abwarten wollen, gaben außerdem an, dass sie zwar Soforthilfe ausgezahlt bekommen hätten – diese aber den zwischenzeitlich geänderten Regeln bezüglich der Betriebskosten unterliegt und deshalb zurück zu zahlen ist.

„Wir gelten nicht als Solo-Selbstständige, da wir keine Betriebsstätte in Bayern haben. Es wird gerade verhandelt“

„Ich durfte nicht, da zu 50% Teilzeit beschäftigt, und in April nicht in finanzieller Not. Aber bald.“

„Unklare Rechtslage, ob Antrag bei gleichzeitigen Einnahmen im Midijob (<Existenzmin.) und Soloselbstständigkeit (ca. 2/3 Jahreseinnahmen) rechtens ist“

„Ich habe die Summe komplett zurückgezahlt, da ich fälschlich dachte, dass auch die ab April gezahlten Zuschüsse privat nutzbar seien“

Vereinfachtes Hartz IV – einfacher, aber nicht genug

Hinsichtlich der Schwierigkeiten mit den kaum vorhandenen Betriebsausgaben wird in den Medien und von der Politik oft betont, dass insbesondere für Solo-Selbstständige eine andere Art der Existenzsicherung in der Krise geschaffen wurde. Gemeint ist die Grundsicherung, aktuell „vereinfachtes Hartz IV“ genannt. Nur wenige unserer Kolleg*innen (9,4% beziehungsweise 9 Personen) haben einen Antrag gestellt, ungefähr genauso viele haben es vor. Den Antworten ist zu entnehmen, dass das Prozedere tatsächlich vereinfacht ist. Die Mehrheit derjenigen, die einen Antrag stellten, erhalten die Grundsicherung.

Die meisten freiberuflichen Mitarbeiter*innen ziehen es aber offensichtlich vor, eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitsamt in der Frage der Grundsicherung zu vermeiden: Mehr als 80% unserer Teilnehmer*innen gaben an, dass sie einen Antrag auf Hartz IV nicht gestellt haben und nicht stellen wollen. Hinderungsgründe wie bestehende oder vermutete „Bedarfsgemeinschaften“ oder die Frage nach einem deutschen Pass schließen nach wie vor ganze Gruppen aus dem Leistungsbezug aus. Die allgemeine Stigmatisierung dürfte ihr Übriges tun.

„vereinfachter Hauptantrag, vereinfachte Einkommenserklärung, Belege, Bedarfsgemeinschaft, Kinder & Unterhaltsbeschluss, KV“

„Die bewilligte Grundsicherung deckt nicht einmal den zu leistenden Kindesunterhalt. Vereinbarungen oder gerichtliche Änderung zur Minderung des Unterhalts sind erfahrungsgemäß in der Realität aussichtslos“

„Vielleicht muss ich ja noch die Grundsicherung beantragen. Das hängt davon ab, wie sich die familiäre Gesamtsituation bezüglich der finanziellen Lage entwickelt-im Falle einer Verschlechterung ist sie durch die Einschnitte meiner freiberuflichen Tätigkeit sehr betroffen“

In der Konsequenz läuft dies hinaus auf das Aufbrauchen von Rücklagen – also eine Zuspitzung der ohnehin prekären sozialen Situation insbesondere freiberuflicher Bildungsreferent*innen:

„Ich hoffe die Grundsicherung zu vermeiden und die Zeit bis Anfang 2021 zu überbrücken, vielleicht beantrage die Grundsicherung später, im Juni“

„Freiberufler*innen sind für Rücklagen zur Rentenversorgung eigenständig verantwortlich. Zu bedenken ist: Wer dies vorausschauend tat, muss diese Ersparnisse nun teilweise verbrauchen und gerät so als Rentner in die Sozialhilfe. In der jetzigen Situation wird absolut deutlich, dass Freiberufler in Gedenkstätten unter unverantwortbaren Arbeitsverhältnissen leiden. Im Problemfall werden sie einfach fallen gelassen. Das muss sich ändern“

„Ich lebe NOCH von Erspartem“

„Ich würde sie lieber nicht beantragen, weil ich nicht davon abhängig sein möchte, aber ich überlege es mir jetzt anders, da ich wahrscheinlich noch für eine lange Weile arbeitslos sein werde“

Erwartungen an die Politik

Wenn es darum geht, was die Politik aus der Sicht der Teilnehmenden unserer Umfrage bezüglich der Situation der Mitarbeiter*innen der Gedenkstätten und Museen tun soll, zeigt sich eine Einigkeit der Stimmen an bestimmten Punkten, die zurecht über die Krisensituation hinaus gehen. Unseren Kolleg*innen und uns ist klar, dass die Probleme eine Geschichte haben und nicht allein aufgrund der Pandemie entstanden sind. Diese Punkte können wir ungefähr wie folgt zusammenfassen: 1) Verbesserung der Arbeitsverhältnisse, Erhöhung der Honorare und Beendigung der prekären Beschäftigung; 2) Wertschätzung unserer Arbeit; 3) Verlängerung der finanziellen Unterstützung in der Krisenzeit, wie zum Beispiel durch wiederholte Soforthilfe und/oder Ausweitung der erleichterten Grundsicherungsbeantragung.

„Ich erwarte von der Politik eine Wertschätzung und Einsatz für freie Bildungsreferenten“

„Politische Bildung ist wichtig sagte man, jedoch die Realität zeigt was anderes. Das Kriterium der Wahrheit ist immer nicht die Realität!!!“

„Den Status der Selbstständigen in der Bildungsarbeit in Frage zu stellen; das Modell der Fester-Freier-Mitarbeiter zu ermöglichen. Weniger Prekariat in unserem Bereich“

„Vergütung für die Bildungsreferenten erhöhen; Verträge umändern; soziale Absicherung; Festanstellungen“

„fairem transparente Klärung der Rechtslage ohne Drohung von Zivilstrafen – bei Rückzahlung: rückwirkende Berechtigung auf Grundsicherung“

„Wertschätzung und Verbesserung der Konditionen für Bildungsreferent*innen, geregelte Honorare, die die Leistungen widerspiegeln (Vor- und Nachbereitung)“

„Ich erwarte, dass die Politik ihre Kultur- und Bildungsangebote nicht ausbeuterisch auf dem Rücken freier Mitarbeiter*innen vorhält. Ich erwarte, dass Politik die Dringlichkeit unser Situation anerkennt und eingesteht, dass Lösungen für mindestens ein weiteres Jahr gefunden werden müssen. Ich erwarte, dass Bund und Land die Einrichtungen in ihrem Angebot und Engagement während der Pandemie prüft und ggf. Alternativen durchsetzt, wenn Leitungen die Situation einfach aussitzen“

„So ziemlich die gleichen, die ihr in eurem offenen Brief zusammengefasst habt! Zudem, Erleichterung im bürokratischen Dschungel was Anträge zur sozialen Absicherung betrifft. Hartz 4 muss weg!“

Gekommen um zu blieben

Schon vor der Corona-Krise hatten wir geplant, eine Konferenz für die Beschäftigten der historisch-politischen und kulturellen Bildung zu veranstalten. Viele Kolleg*innen halten so einen Schritt für nötig. 78,1% (75 Personen) erklärten sich für die Teilnahme an einer Konferenz, wenn die Reisewarnungen und Versammlungsverbote aufgehoben würden. 80,2% (77 Personen) würden an einer Online-Konferenz teilnehmen. Bei den Themen sind besonders wichtig (mehrere Antworten möglich):

  1. „Bundesweite Vernetzung und Verbandsgründung“ (65 Personen);
  2. „Info für Solo-Selbstständige in unserem Bereich (Honorare, Soz. Absicherung, Steuern etc.)“ (63 Personen);
  3. „Erfahrungsaustausch“ (60 Personen )
  4. „Politische Kampagne“ (57 Personen).

Wir werden uns für eine solche Konferenz in nächsten Monaten einsetzen. Dabei werden wir Unterstützung brauchen. Es geht nicht um einen Sprint, sondern einen Marathon.

One thought on “Stabilisierte Unsicherheit – für wie lange? Umfrage zu den Folgen der Corona-Schließungen in Gedenkstätten und Museen (Mitte Mai 2020)”

  1. Schöneweide (Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit) gehört zur Stiftung Topographie des Terrors. Seitens der Stiftung Topographie des Terrors wurde allen Guides ein Werkvertrag angeboten. Das umfasst aufgrund dieser Zugehörigkeit auch Guides, die Bildungsformate im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit durchführen.

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